Kommentar zum Auftakt des Prozesses gegen Jörg Kachelmann auf Deutschlandradio Kultur: In unserer Mediengesellschaft droht heute jedem schon bei der ersten öffentlichen Verlautbarung einer Staatsanwaltschaft, sie würde wegen einer „schmuddeligen“ Straftat ermitteln, der Verlust des öffentlichen Ansehens. Einem Fernsehmoderator, einem Politiker oder anderen Prominenten droht aber mehr: Die soziale „Exekution“, selbst dann, wenn sich alle Anschuldigungen am Ende als haltlos erweisen.
Türck, Tauss, Benaissa und jetzt Kachelmann. Dringend gesucht: Grenzen für die Öffentlichkeitsarbeit von Staatsanwaltschaften!
Nach Türck, Tauss und Benaissa – jetzt Kachelmann: Den Staatsanwälten fehlen in Deutschland klare Regeln für ihre Informationspolitik. Die angeblich „objektivste Behörde der Welt“ betreibt immer öfter zu Lasten prominenter Verdächtiger eine aktive Öffentlichkeitsarbeit und bedient dafür das überschäumende Interesse der (Boulevard-) Medien mit feinstem Futter. Die plaudernden Sprecher betreiben dabei – bewußt oder unbewußt – schlicht „Litigation-PR“ und werben um Akzeptanz der Öffentlichkeit für die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft, z.B. für Ermittlungen und U‑Haft. Eine Kategorie der Strafprozessordnung oder des Strafrechtes ist dieses jedoch nicht. Denn nicht die Medien, sondern allein das Gericht ist berufen, über den Fall zu entscheiden. Der Schaden, den die presserechtlich privilegierte Behörde für den Betroffenen aber schon bis zu einer Anklageerhebung damit anrichtet, geht oft weit über das hinaus, was die Strafandrohung für seine vorgebliche Tat überhaupt umfasst. Auf der Strecke bleibt damit nicht nur die Unschuldsvermutung. Diese neue Art der „Öffentlichkeitsarbeit“ der Staatsanwaltschaften droht vielmehr immer mehr zu einer willkürlichen Waffe zu werden – gerade bei heiklen Verdächtigungen und gegen bekannte Namen. Ein unerträglicher Zustand für die Betroffenen, aber auch für den Rechtsstaat, dem dringend mit klaren Regeln für die Pressearbeit der Staatsanwaltschaften begegnet werden muß.