Am 23. Juli 2009 habe ich als Erst-Unter­zeich­ner den Lud­wigs­bur­ger Dia­log für Infor­ma­ti­ons­frei­heit und gegen Inter­net-Sper­ren gezeich­net. Inzwi­schen hat auch die SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on ihre Hal­tung der dar­in zum Aus­druck kom­men­den Posi­ti­on ange­gli­chen. Ins­be­son­de­re Lars Klin­beil, MdB bemüht sich hier um eine nach­hal­ti­ge Ände­rung der Posi­ti­on der SPD. Eine Dokumentation:

Lud­wigs­bur­ger Dia­log für Infor­ma­ti­ons­frei­heit und gegen Internet-Sperren

Im Bereich der inne­ren Sicher­heit gibt es seit eini­gen Jah­ren eine gefähr­li­che Ten­denz Bedro­hun­gen und Bekämp­fungs­stra­te­gien iso­liert von­ein­an­der zu betrach­ten. Hand­lungs­op­tio­nen, die dem Grund­satz der Ver­hält­nis­mä­ßig­keit ent­spre­chen und dem Ide­al der bür­ger­li­chen Frei­heit ver­pflich­tet sind, wer­den zuneh­mend außer Acht gelas­sen. Der Wer­te­ka­non unse­rer Gesell­schaft ver­schiebt sich von einer Tra­di­ti­on der Frei­heit zu einer Ideo­lo­gie der Sicher­heit. Über Genera­tio­nen erstrit­te­ne Frei­heits­rech­te gel­ten weni­ger als die Ver­hei­ßun­gen eines schein­ba­ren Sicher­heits­ge­winns durch immer mehr Ver­bo­te, Kon­trol­le und Überwachung.

Als Fol­ge erle­ben wir eine sicher­heits­po­li­ti­sche Auf­rüs­tung ohne Augen­maß: Vor­rats­da­ten­spei­che­rung, Online­durch­su­chung, BKA-Gesetz oder Web­sei­ten-Sper­ren sind die bekann­te­ren Bei­spie­le die­ser Ent­wick­lung. All dies geschieht im Namen ver­meint­li­cher Sicher­heit oder der Bekämp­fung unlieb­sa­mer Inhal­te. Es wer­den dadurch jedoch Infra­struk­tu­ren mit Repres­si­ons­po­ten­ti­al geschaf­fen, die nur so lan­ge kei­ne grö­ße­re Gefahr dar­stel­len wie sie in den Hän­den demo­kra­tisch gesinn­ter Men­schen sind und eine wirk­sa­me rechts­staat­li­che Kon­trol­le gewähr­leis­tet ist.
Die Dis­kus­si­on über die Gefahr einer Ero­si­on der Grund­rech­te muss dabei wie­der in den Par­tei­en und in den Par­la­men­ten stat­tfin­den und nicht nur in einer tief beun­ru­hig­ten (Fach-)Öffentlichkeit oder vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. Denn der Schutz der bür­ger­li­chen Frei­heit ist eine vor­ran­gi­ge Auf­ga­be aller demo­kra­ti­schen Kräfte!

Durch­dach­te, effi­zi­en­te und ganz­heit­lich ange­leg­te Maß­nah­men müs­sen das Mar­ken­zei­chen sozi­al­de­mo­kra­ti­scher Rechts- und Innen­po­li­tik der kom­men­den Jah­re sein. Allen Ent­wick­lun­gen hin zu einem auto­ri­tä­ren Staat hat sie kon­se­quent ent­ge­gen zu wir­ken. Vor­ha­ben wie die von der gro­ßen Koali­ti­on ein­ge­führ­te Web­sei­ten-Sper­re leh­nen wir des­halb strikt ab! Dies ist unse­riö­ser und schäd­li­cher Popu­lis­mus auf Kos­ten miss­brauch­ter Kin­der, mit lang­fris­tig bedroh­li­chen Neben­wir­kun­gen für Grund­rech­te wie der Infor­ma­ti­ons­frei­heit! Löschen ist dem­ge­gen­über die ein­zig rich­ti­ge, ver­hält­nis­mä­ßi­ge und zugleich bür­ger­rechts­ver­träg­li­che Alter­na­ti­ve. Sper­ren ist das nicht. Denn wir wis­sen: Beim Erar­bei­ten von wirk­sa­men Stra­te­gien gegen welt­weit geäch­te­te Inhal­te kann sich die Poli­tik auf die Kom­pe­tenz mün­di­ger „Netz­bür­ger“ ver­las­sen, die den bis­he­ri­gen Gesetz­ge­bungs­pro­zess nicht nur mit Kri­tik, son­dern auch mit kon­struk­ti­ven Vor­schlä­gen beglei­tet haben.

Zuneh­mend orga­ni­sie­ren sich wegen die­ses The­mas bis­her unpo­li­ti­sche Bür­ger. Dies zeigt, dass netz­po­li­ti­sche The­men in der Poli­tik bis­lang zu wenig Beach­tung fan­den. Daher appel­lie­ren wir heu­te gemeinsam:

Das Inter­net darf nicht zum bür­ger­rechts­frei­en Raum werden!

Wenn staat­li­che Insti­tu­tio­nen mit dem Ver­weis auf angeb­lich dro­hen­den Ter­ror oder uner­wünsch­te Inhal­te an einer Infra­struk­tur der flächen­de­cken­den Über­wa­chung, des lücken­lo­sen behörd­li­chen Daten­aus­tauschs und der staat­li­chen Kon­trol­le arbei­ten und dabei die gesam­te Gesell­schaft unter Ver­dacht stel­len, führt dies dazu, dass sich die Bür­ger per­ma­nent beob­ach­tet füh­len und ver­un­si­chert wer­den. Beson­ders beun­ru­hi­gend ist, dass für den Lai­en die gesetz­li­chen und tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lun­gen im Bereich der Über­wa­chung in ihrer Geschwin­dig­keit und Viel­zahl nicht zu über­bli­cken sind und oft­mals im Detail unver­ständ­lich blei­ben. Wer aber unter Gene­ral­ver­dacht steht, beginnt sich selbst zu zen­sie­ren. Auf die­se Wei­se kommt einer Gesell­schaft das freie Den­ken abhan­den und mit ihm die unver­zicht­ba­re Kraft, sich aus sich selbst her­aus zu erneuern.

So wie in einem demo­kra­ti­schen Rechts­staat Fol­ter kein legi­ti­mes Mit­tel der Straf­ver­fol­gung sein darf, müs­sen auch ganz selbst­ver­ständ­lich schäd­li­che tech­ni­sche Ein­grif­fe in Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Infor­ma­ti­ons­net­ze als Mit­tel der Gefah­ren­ab­wehr aus­ge­schlos­sen sein. Und so, wie nicht alle Post­kar­ten und Brie­fe kon­trol­liert und ihre Inhal­te abge­schrie­ben wer­den, so dür­fen Straf­ver­fol­gungs­be­hör­den die tech­ni­schen Mög­lich­kei­ten, die das Inter­net ermög­licht, nicht zur schritt­wei­sen Errich­tung einer Infra­struk­tur zur umfas­sen­den bis hin zur tota­len Über­wa­chung der Bür­ger zweckentfremden.

An alle demo­kra­ti­schen Par­tei­en stel­len wir den selbst­ver­ständ­li­chen Anspruch, unter allen Bedin­gun­gen jedem Miss­brauch durch demo­kra­tie- und grund­rechts­feind­li­che Kräf­te stand­zu­hal­ten. Das gilt beson­ders für die SPD, die als ihren ers­ten Grund­wert die Frei­heit anführt. Dies ist das tra­gen­de Prin­zip unse­rer frei­heit­lich-demo­kra­ti­schen Grund­ord­nung, das der Par­la­men­ta­ri­sche Rat aus guten Grün­den in unse­rer Ver­fas­sung als „ewig“ ver­an­kert hat. Wir hal­ten es für falsch, wenn Regie­rungs­mit­glie­der und Abge­ord­ne­te des Bun­des­ta­ges die­sen demo­kra­ti­schen Grund­kon­sens beim Inter­net auf­ge­ben wollen.

Gemein­sam wol­len wir die­se Fehl­ent­wick­lung kor­ri­gie­ren und mit den uns jeweils zur Ver­fü­gung ste­hen­den demo­kra­ti­schen Mit­teln für eine Poli­tik strei­ten, die Sicher­heit in Frei­heit ver­wirk­licht, anstatt die Frei­heit unse­rer Gesell­schaft einer schein­ba­ren Sicher­heit durch tota­le Kon­trol­le zu opfern bereit ist.

Wir wer­den die sicher­heits­po­li­ti­schen Ent­schei­dun­gen der Ver­gan­gen­heit wie auch künf­ti­ge Geset­zes­vor­ha­ben kri­tisch hin­ter­fra­gen, im Inter­es­se der Frei­heit auf sie ein­wir­ken und die gemach­ten Feh­ler kor­ri­gie­ren. In Kennt­nis der Chan­cen wie auch der Her­aus­for­de­run­gen der neu­en Medi­en für unse­re Gesell­schaft wer­den wir an die­sem gemein­sa­men Ziel arbeiten.

Denn: Der vor­nehms­te Grund für Sicher­heit ist es, die Frei­heit zu schützen!

Lud­wigs­burg, den 23. Juli 2009