Offensichtlich weitgehend unbemerkt von der „Netzpolitik“ in Deutschland, bahnt sich im Internet etwas Großes an: Das Netz erhält vom 6. Juni 2012 an ein weltweites „Update“. Ab diesem Tag soll IPv6 die gegenwärtig noch überwiegend genutzte Version 4 des Internet Protokolls ablösen. Das Internet Protocol Version 6 (IPv6), ist das von der Internet Engineering Task Force (IETF) bereits seit 1998 standardisierte, neue Verfahren zur Übertragung von Daten in paketvermittelnden Rechnernetzen, insbesondere also dem Internet. Die IETF ist eine der zentralen Institutionen des Internet unter dem Dach der Internet Society (ISOC).
Ein wesentlicher Vorteil des neuen Protokolls ist, dass es eine deutlich größere Anzahl möglicher Adressen bietet, die bei IPv4 schon seit geraumer Zeit erschöpft sind. IPv4 bietet nämlich einen Adressraum von „nur“ über vier Milliarden IP-Adressen, mit denen Computer und auch andere ans Internet angeschlossenen Geräte (z.B. Maschinen oder Smartphones) angesprochen werden können. Schon seit einigen Jahren reicht diese Zahl nicht mehr aus, fehlen beispielsweise in Asien Adressen und kann der Ausbau des Internets daher nicht mehr wie gewohnt problemlos voranschreiten. Durch IPv6 werden dagegen unvorstellbare 340 Sextillionen (265 hoch 16) Adressen darstellbar – so viel, dass jedem Millimeter der Erde theoretisch Billiarden an eineindeutigen IP-Adressen zugewiesen werden könnten. Das Internet sprengt damit seine historischen Grenzen, die bislang der westlichen Welt über 75% der Adressresourcen zuwiesen.
Um der Sorge vor einer damit einhergehenden Überwachbarkeit des Nutzerverhaltens im Internet zu begegnen, wurden sogenannte „Privacy Extensions“ konzipiert. Mit diesen generiert – soweit vom Nutzer gewünscht – ein Gerät im Netzwerk selbstständig einen wechselnden Adressteil, unabhängig von der Hardware-Adresse des Netzwerkadapters (MAC-Adresse), anstatt nur einmalig eine feste Adresse anzulegen. Der Provider-Teil der IP-Adresse wird aber auch in Zukunft spezifisch genug sein, um einen einzelne Nutzer bzw. seinen Internet-Anschluss zu identifizieren. Bei Verdacht auf Straftaten kann daher – wie schon heute bei IPv4 – auch bei dynamisch vergebenen IP-Adressen über den Internet Service Provider ermittelt werden, welchem Anschluss die Adresse zum fraglichen Zeitpunkt zugeteilt war, soweit diese Information noch beim ISP vorhanden sind. An den damit zusammenhängenden (politischen) Fragen ändert sich also in der Praxis auch durch IPv6 nichts: Anonymität bleibt im Internet prinzipiell genauso möglich oder unmöglich wie bisher.
Da die Vorteile von IPv6 jedoch deutlich überwiegen und es angesichts des akuten Adressenmangels zudem auch keine bessere Alternative gibt, ruft die Internet Society alle Beteiligten, insbesondere Hoster, Hersteller und Telekommunikationsunternehmen dazu auf, sich am Start des neuen Protokolls vom 6. Juni 2012 an aktiv zu beteiligen, um einen möglichst schnellen und reibungsloses Update des Internets im Interesse Aller zu ermöglichen.
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