Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Hans-Peter Fried­rich hat mit undif­fe­ren­zier­ten Äuße­run­gen zur Anony­mi­tät im Inter­net ein­mal mehr die Vor­ur­tei­le bestä­tigt, Poli­ti­ker wie er wären „Inter­net­aus­dru­cker“ und nicht in der Lage, die tat­säch­li­chen Pro­ble­me des glo­ba­len Net­zes zutref­fend zu beschrei­ben, geschwei­ge denn sach­ge­recht und in einer der Demo­kra­tie und Frei­heit ver­träg­li­chen Sin­ne zu lösen. So sehr ich die Kri­tik an den undif­fe­ren­zier­ten Gedan­ken­gän­gen des Minis­ters tei­le, so sehr ärge­re ich mich zugleich aber über eben­so fal­sche und undif­fe­ren­zier­te Gegen­ar­gu­men­te. Daher ein kur­zer Zwischenruf:

Im Inter­view mit dem SPIEGEL for­der­te Bun­des­in­nen­mi­nis­ter Hans-Peter Fried­rich sinn­ge­mäß ein „Ende der Anony­mi­tät im Inter­net“ und stell­te dabei auch die Fra­ge „War­um müs­sen ‚Fjord­man‘ und ande­re anony­me Blog­ger ihre wah­re Iden­ti­tät nicht offen­ba­ren?“ Anstatt ihm jedoch dar­auf ein­fach zu ant­wor­ten: „Wuss­ten Sie nicht? Müs­sen die doch schon längst, jeden­falls wenn für einen Nor­we­ger wie ‚Fjord­man‘ deut­sches Recht gel­ten wür­de“, auf die Impres­sums­pflicht der §§ 5 TMG, 55 RStV hin­zu­wei­sen und anschlie­ßend nach­zu­fra­gen, was er denn eigent­lich meint, denn Pseud­ony­mi­tät ist im Inter­net nicht allein schon auf­grund der tech­ni­schen Bedin­gun­gen die Regel, son­dern sie ist wie die Anony­mi­tät sogar vom deut­schen Gesetz­ge­ber aus­drück­lich erwünscht (sie­he §§13 TMG VI und §47a RStV), gehen statt des­sen aber die Dis­kus­si­ons­bei­trä­ge so man­cher Kri­ti­ker wie­der ein­mal in eine Rich­tung, die es Minis­ter Fried­rich für mei­nen Geschmack anschlie­ßend viel zu leicht machen, vor dem „Cha­os der Gesetz­lo­sig­keit“ zu war­nen und von „dümm­li­chen Reak­tio­nen“ und „intel­lek­tu­el­ler Platt­heit“ zu spre­chen und sich so auch noch Zustim­mung orga­ni­sie­ren zu können.

So sehr ich die Kri­tik an den undif­fe­ren­zier­ten Gedan­ken­gän­gen des Minis­ters daher tei­le, so sehr ärge­re ich mich daher zugleich über eben­so fal­sche und undif­fe­ren­zier­te Gegen­ar­gu­men­te. So krankt bei­spiels­wei­se die Pro-und-Con­tra-Dis­kus­si­on zwi­schen Falk Lüke und Chris­ti­an Fül­ler in der TAZ dar­an, dass bei­de ihre Argu­men­te aus­ge­rech­net aus untaug­li­chen Bei­spie­len ableiten:

Falk Lüke erklärt sein „PRO“ im wesent­li­chen damit, dass Anony­mi­tät der Stan­dard wäre, mit dem wir uns auch auf der Stra­ße bewe­gen wür­den und Chris­ti­an Fül­ler sein „CONTRA“, dass ein Anony­mus z.B. in Wiki­pe­dia in sei­nem Arti­kel ein­fach so alle neu­en Text­tei­le löschen und ihm auch sonst uner­kannt nach­stel­len könnte.

Bei­des aber trifft nicht: In der „rea­len Welt“ gibt es über­haupt kei­ne Anony­mi­tät, die mit dem im Inter­net mög­li­chen Maß feh­len­der Zuor­den­bar­keit einer Hand­lung zu einer Per­son ver­gleich­bar wäre. Denn auch wenn wir „auf der Stra­ße kein Namens­schild tra­gen“, so sind wir dort NIEMALS anonym unter­wegs. Denn wir haben mit unse­rem Kör­per nicht nur zwin­gend DAS „Bio­me­tri­sche Merk­mal“ schlecht­hin dabei, son­dern sind im Kon­flikt­fall selbst dann „in per­so­na“ greif­bar, wenn wir unser Gesicht ver­mum­men. Namen erleich­tern inso­weit ledig­lich die Zuord­nung zu einer Per­son, ihr Feh­len ist jedoch nicht mit man­geln­der Iden­ti­fi­zier­bar­keit, also Anony­mi­tät gleich­zu­set­zen. Zudem macht das Feh­len eines Namens­schil­des auf der Stra­ße die Zuord­nung einer Hand­lung zu einer Per­son nicht unmög­lich. Auch ohne Namen blei­be ich dort immer greif­bar und damit ggfs. auch ohne mei­nen Wil­len spä­ter einem Namen zuor­den­bar. Kon­se­quent gilt daher bei­spiels­wei­se als „Fah­rer­flucht“ im Sin­ne des §142 StGB das „Uner­laub­te Ent­fer­nen vom Unfall­ort“ und nicht etwa der Umstand, dass der Unfall­be­tei­lig­te nicht sei­nen Namen nennt oder gar einen Aus­weis vor­ge­zeigt hät­te. Selbst ein namen­lo­ser Mensch kann in „real world“ für eine Tat haft­bar, ver­ur­teilt und bestraft wer­den, wenn sei­ne Iden­ti­tät als Täter feststeht.

In der kör­per­lo­sen Welt des Inter­net ist Pseud­ony­mi­tät dage­gen schon auf­grund der tech­ni­schen Bedin­gun­gen die Regel und selbst Anony­mi­tät sogar vom deut­schen Gesetz­ge­ber erwünscht und in §§13 TMG VI und §47a RStV sogar dem Diens­te­an­bie­ter vor­ge­schrie­ben. Das kann aber eben nur für Nut­zer, nicht für Anbie­ter im Inter­net gel­ten! Denn Anony­mi­tät kann zwar der Mei­nungs­frei­heit die­nen, darf aber nicht zur völ­li­ger Ver­ant­wor­tungs­lo­sig­keit füh­ren. Das wür­de weder der Frei­heit, noch dem Recht die­nen und allein ein­sei­tig die Opfer anony­mer Taten belasten.

Natür­lich kann man behaup­ten, schon die Impres­sums­pflicht wider­sprä­che dem Grund­ge­dan­ken der anony­men Nut­zung des Inter­net und der frei­en Mei­nungs­äu­ße­rung. Die­se Behaup­tung igno­riert aber, dass die Impres­sums­pflicht nur für die­je­ni­gen gilt, die Diens­te anbie­ten, nicht aber für alle Per­so­nen, die das Inter­net und sei­ne Diens­te aktiv nut­zen. Man kann zudem im Inter­net auf zahl­rei­che Arten sei­ne freie Mei­nung äußern, ohne dass man dafür gleich selbst Anbie­ter eines Diens­te wer­den muss. Um sei­ne Mei­nung kund­zu­tun, ist es nicht erfor­der­lich, eige­ne Web­sei­ten anzu­bie­ten, Blogs oder gar öffent­li­che Foren zu betrei­ben. Es gibt zahl­rei­che ande­re Mög­lich­kei­ten im Inter­net, wie man als Teil­neh­mer anonym mit ande­ren dis­ku­tie­ren kann. Und es gibt zahl­rei­che ande­re gute Grün­de als nur pro­ble­ma­ti­sche Inhal­te, war­um der Betrei­ber eines Diens­tes nicht anonym blei­ben darf: Ohne Kennt­nis des Betrei­bers lässt sich auch nicht kon­trol­lie­ren, ob er Daten­schutz­be­stim­mun­gen oder ande­re Geset­ze zum Schut­ze der Nut­zer über­haupt ein­hält. Zudem führt auch in „real live“ die Iden­ti­fi­zier­bar­keit eines Spre­chers nicht etwa dazu, das „Min­der­hei­ten ver­stum­men“ wür­den. Um Mei­nungs­frei­heit nach­hal­tig auch dort durch­zu­set­zen, wo sie bis­lang unter­drückt wird, bedarf es viel­mehr muti­ger Men­schen, die mit ihrem Namen und ihrem Gesicht auch öffent­lich dar­um poli­tisch kämp­fen. Aus der Anony­mi­tät her­aus las­sen sich jeden­falls kei­ne Demo­kra­tien errich­ten oder auch nur bewahren.

Gera­de wenn man für die Bei­be­hal­tung von Anony­mi­tät im Inter­net welt­weit strei­tet, muss man also im Umkehr­schluss akzep­tie­ren, dass dann (eben auch welt­weit!) der Anbie­ter (also auch der Betrei­ber eines Forums oder Blogs) einer Impres­sums­pflicht nach­zu­kom­men hat und ihn dann zugleich auch eine (ein­ge­schränk­te) Ver­ant­wor­tung für den von ihm betrie­be­nen Dienst und die von ihm ver­brei­te­ten Inhal­te trifft.

Wiki­pe­dia eig­net sich dem­ge­gen­über nicht als Gegen­bei­spiel. Denn hier will der Betrei­ber, die Wiki­pe­dia Foun­da­ti­on mit den sie finan­zie­ren­den Wiki­me­dia-Ver­ei­nen, gera­de KEINE ent­spre­chen­de Ver­ant­wor­tung für den eige­nen Dienst über­neh­men und ver­weist daher bis­lang im Kon­flikt­fall statt­des­sen auf die indi­vi­du­el­len IP- und Anmel­de­da­ten des Nut­zers hin­ter sei­nem Pseud­onym. Gera­de die IP-Adres­se aber ist ein Datum, das anders als in Deutsch­land und hier nicht zuletzt nur aus Grün­den des Daten­schut­zes, in vie­len ande­ren Län­dern der Welt eben kei­ne Anony­mi­tät bedeu­tet. In der Kon­se­quenz des „Com­pu­ter-Decen­cy-Acts“ der in den USA den Diens­te­an­bie­ter als „Inter­me­di­är“ frei­stellt, wer­den die Daten über die Nut­zer umfas­send gespei­chert und beaus­kunftet. Risi­ko und Kos­ten der eige­nen Inhal­te ver­la­gern Ebay & Co. somit auf die Nut­zer. Kein nach­ah­mens­wer­tes Modell, wie ich finde.

Da Wiki­pe­dia also dies­be­züg­lich bei­des leug­net, sowohl eine eige­ne Ver­ant­wor­tung, als auch einen wirk­sa­men Schutz ihrer Autoren durch Gewähr­leis­tung ech­ter Anony­mi­tät, lässt sich mit die­sem Bei­spiel umge­kehrt aber nicht begrün­den, war­um Anony­mi­tät im Inter­net künf­tig gar nicht mehr gestat­tet sein soll­te, son­dern höchs­tens, dass sich Wiki­pe­dia zukünf­tig nicht mehr auf ihre „Wiki-Immu­ni­ty“ beru­fen (dür­fen) sollte.

Sowohl die Argu­men­te für Pro, als auch die Argu­men­te für Con­tra, füh­ren daher in die Irre und sind nicht geeig­net, das zu wider­le­gen oder zu stüt­zen, was der Innen­mi­nis­ter viel­leicht im Kern eigent­lich nur aus­drü­cken wollte:

Auch im Inter­net soll­te man zu sei­ner Mei­nung ste­hen müs­sen, wenn man sie nicht am Stamm­tisch oder im Fami­li­en­kreis, son­dern öffent­lich und welt­weit ver­brei­tet. Wenn der Nut­zer aber anonym blei­ben kön­nen soll, dann muss im Kon­flikt­fall zumin­dest sonst jemand als Ver­ant­wort­li­cher iden­ti­fi­zier­bar blei­ben, der viel­leicht nichts „dafür“, aber wenigs­tens etwas „dage­gen“ tun kann, um bestehen­de Kon­flik­te zu lösen. Und not­falls eben dazu auch ver­pflich­tet wer­den kann.

So ver­stan­den wür­de die For­de­rung von Minis­ter Fried­rich nichts ande­res bedeu­ten, als das, was (nicht nur) in Deutsch­land schon gilt, auch inter­na­tio­nal als Stan­dard zu ver­ein­ba­ren: Wenn jemand in sei­nem Inter­net­an­ge­bot anony­me Äußerungen/ Inhal­te Drit­ter (z.B. Kom­men­ta­re wie hier) zulas­sen will, dann ist eben er als Sei­ten­be­trei­ber dafür (beschränkt im Rah­men des tech­nisch mög­lich und auch sonst zumut­ba­ren) ver­ant­wort­lich. Und wenn der Sei­ten­be­trei­ber anonym agiert, ist in letz­ter Kon­se­quenz eben der Host-Pro­vi­der in Anspruch zu neh­men, der die­ses zulässt.

Allein in solch einem Sys­tem der Ver­ant­wor­tung des „Inter­me­di­är“ lässt sich auch nach­hal­tig recht­fer­ti­gen, war­um es dann umge­kehrt nicht nur die Mög­lich­keit, son­dern viel­leicht auch über­all ein RECHT auf Pseud­ony­mi­tät oder gar Anony­mi­tät der Nut­zer im Inter­net geben soll­te. Und so wäre nicht nur der Frei­heit, son­dern auch der Ver­ant­wor­tung gehol­fen – ohne Scha­den für Bür­ger­rech­te und Demo­kra­tie. Aber, viel­leicht mei­nen das ja alle schon so und nur ich habe Minis­ter Fried­rich, sei­ne Kri­ti­ker und Unter­stüt­zer mit ihren Argu­men­ten ein­fach noch nicht rich­tig verstanden…