Ungeachtet dessen wurde in den darauffolgenden Tagen und Wochen bis kurz vor der Bundestagswahl das öffentliche Interesse an den Ermittlungen ganz gezielt befördert. Besonders der für die Pressearbeit verantwortliche Oberstaatsanwalt in Karlsruhe, aber auch der Vorsitzende des Immunitätsausschuss des Bundestages, sahen sich daraufhin der Kritik ausgesetzt, an einer „medialen Inszenierung“ der Ermittlungen gegen Tauss mitzuwirken. In der Folge ergab sich wegen der Parallelitäten weiterer Fälle eine sehr (selbst-) kritische Diskussion der Medien über die Grenzen der Berichterstattung bei Verdächtigungen von Prominenten und der „Öffentlichkeitsarbeit“ von Ermittlungsbehörden. Im Ergebnis änderten diese Reflexionen jedoch nichts: Die Karlsruher Staatsanwaltschaft begleitete das Ermittlungsverfahren mit anhaltender öffentlicher Mitteilungsfreude. Den dadurch entstandenen Eindruck einer öffentlichen Vorverurteilung in den Medien bestätigte sie schließlich sogar selbst. Ein Plädoyer gegen eine für Verteidigung und den Rechtsstaat gleichermaßen unerträgliche Situation.
Aufsatz – Die Wahrnehmung schlägt die Fakten mit dem Auszug von Dr. Gregor Wettberg und Jan Mönikes aus dem Sammelband: „Die Öffentlichkeit als Richter? – Litigation-PR als neue Methode der Rechtsfindung“, Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Volker Boehme-Neßler, Nomos 2010 – Bestellbar unter: http://www.nomos-shop.de/productview.aspx?product=12160
Wenn der Verteidiger eines Angeklagten pünktlich zum Prozessbeginn einen „Aufsatz“ publiziert, in dem die These von einer großangelegten Verschwörung unter die Leute gebracht wird, dann kann man das ja wohl bestenfalls als bezahlte Litigation-PR auffassen.
Ein Buch mit 184 Seiten für 52 Euro?! Aua, aua.
Gruß, Frosch
Und wenn schon – es ist inzwischen auffällig, wie angeblich „Schuldige“ schon vor einem Prozessende von den Medien zerissen werden.
So mag die Beweislast erdrückend sein – solange kein Urteil gefällt wurde, ist der betroffene Bürger keineswegs vorbestraft oder sonstiges. Dementsprechend ist es natürlich vorteilhaft, wenn man die Massen auf der gegnerischen Seite hat (ob im Recht oder Unrecht sei dahingestellt) – wer will schon als Richter einen unpopulären Freispruch oder eine Strafe in die Welt setzen, wenn ganz Michel-Deutschland seine Schlafmütze abnimmt und sich und seine „Meinung“ kundtut?
Da geht es ja an die eigene persönliche Reputation innerhalb der Gesellschaft. Und darauf ist der Mensch, als Zoon Politikon‘ fixiert: Das eigene Ansehen innerhalb der Gesellschaft. Und dementsprechend stellt sich dann ein Politiker, Richter oder eine sonstige Marionette unseres ach so freien demokratischen Systems hin und beugt sich dem Druck der Mehrheitsansicht. Zumindest in den meisten Fällen.
Dementsprechend geben Staatsanwälte gerne vorher Interviews oder Informationen. Man sieht sich gerne als ’scharfen Hund‘, ‚Gerechtigkeitsbringer‘ oder ähnliches. Mit den daraus resultierenden Ergebnissen.
Jedoch muss man auch in diesem Fall abwägen zwischen öffentlichem Interesse und den Persönlichkeitsrechten des Einzelnen. Dass es im Vorfeld zu ‚Pannen‘ aka Information der Medien ohne (vor der Durchsuchung) berechtigten Verdacht kam, ist meines Erachtens nicht weiter verwunderlich.
Und allein durch die meinige Ansicht zeigt sich – ebenso wie die der vorher Kommentierenden, dass eine neutrale Betrachtung nicht möglich ist, da man allein schon durch einen Bericht oder eine Angabe, von Seitens der Staatsanwaltschaft oder der Verteidigung, voreingenommen ist.
Wer die Berichterstattung kritisch verfolgt hat und die Rahmenbedingungen im Jahre 2009 berücksichtigt, kommt nicht zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Strafverfahren um eine „Verschwörung“ gegen Jörg Tauss handelt. Aber um ein gefundenes Fressen für die StA Karlsruhe, die Baden-Württembergische Landesregierung und Ursula von der Leyen. Eine Kampagne. Jede Zurückhaltung wurde fallen gelassen und der Fall gnadenlos missbraucht, um ein populistisches und schon wieder anachronistisches Gesetz im Bundestag durchzupauken. Ohne den Fall Tauss hätte die SPD vielleicht nicht zugestimmt (und sich schwer geschadet). Ohne das von der Staatsanwaltschaft geschürte Trommelfeuer wäre Jörg Tauss vielleicht heute noch Abgeordneter.
Tauss´ Rechtsanwalt berichtet die Ereignisse sachlich und den Tatsachen entsprechend. Natürlich muss er in der Glaubensfrage, ob die gefundenen Dateien dem privaten Vergnügen oder der politischen Arbeit von Herrn Tauss dienten, für seinen Mandanten Stellung beziehen. Aber mir erscheint diese Version plausibler, als die Vermutung, hier sei ein pädophiler Abgeordneter am Werke gewesen. Nichts am Fall Tauss ist „tätertypisch“, auch nicht seine offensive Verteidigung. Im Zweifel für den Angeklagten.
[…] 23seitigen Armutszeugnis für manche Akteure aus der Justiz, der Politik und dem Medienbetrieb Aufsatz fasst Tauss’ Verteidiger die Ereignisse aus der Sicht des Betroffenen […]
Wenn ein Abgeordneter seine Immunität mal nicht mißbraucht um falsch zu parken oder Steuern zu hinterziehen, sondern sich als einziger Sachverständiger im Parlament mal genötigt sieht, die Qualität der Gesetzgebung zu befördern indem er untersucht, inwieweit ein unsinniger Gesetzesvorschlag trägt, dann sehe ich da zuerst mal jemanden, der sich seines Auftrages (nach bestem Wissen und Gewissen) verpflichtet fühlt. Das Gesetz war unsinnig im Sinne des Titels, sinnvoll im Sinne der dementierten Nebenwirkungen, passte aber insgesamt zur handwerklich schlampigen Gesetzgebung der letzten JM.
Ich habe es zwar nicht gewußt, aber geahnt, daß Herr Tauss seine „Recherchen“ erst betrieb, nachdem die Notwendigkeit bestand, über ein Gesetz abzustimmen, dem ein großer Teil der Abgeordneten angeblich in der Hoffnung aufs BVG zustimmte, oder sich der Abstimmung enthielt, Technikern jeglichen Sachverstand abstritt, oder sie gleich als potentielle Täter verleumdete. Eine Beleidigungsklage gegen von der Laien war natürlich aussichtslos, wegen Immunität.
Immunität ist ein zweischneidiges Schwert, natürlich ist es notwendig, daß Abgeordnete nicht mit einfachen Mitteln aus dem Parlament geschossen werden können, aber meiner unmaßgeblichen meinung nach hatte Herr tauss alle Rechte im Schutze seiner Immunität das Thema zu untersuchen, nachdem es aufkam. Und das hat er ja unzweifelhaft nicht vor seinem Eintritt in den Bundestag gemacht, oder direkt nach Erwerb der Immunität, sondern erst, nachdem das Thema aufkam.
ich weiß zwar nicht, ob Herr Tauss Jurist ist, aber bei der heutigen Juristendichte in der Politik, nicht zum Nutzen des Volkes, halte ich es für unabdingbar, daß Abgeordnete sich auch selbst mal ein Bild machen über Ziel, Zweck, und Auswirkungen von Gesetzen. Juristen haben eine etwas andere Wahrnehmung der Lebenswirklichkeit, und Gewissen gehört nicht zu den Berufsqualifikationen.
(was nicht ausschließt, das es auch Juristen mit Gewissen gibt)
Rumpel möchte ich beistimmen. Die Juristendichte im Parlament hat einen Optimierungsmechanismus zur Folge, welcher schiere Sprachlosigkeit zum Resultat in weiten Teilen der Gesellschaft hat. Mögen Gesetze und deren Vorlagen aus Notwenigkeit ihrer Formulierungsgenauigkeit das Erklären. Rechtsstaatliche Entkopplung vom Volk, kann nicht Staatsziel einer Demokratie sein. Ethische Maxime aus sozialem Verständnis und Gewissen erwachsen, verwaisen. – Was stellt das Internet her, dass Politiker dessen Kontrolle fordern?
Was nützt überhaupt Kritik, wenn diese überhört wird? Beklemmend ist, dass der Staat nur Mittler ist und die Bürger sich selber ihre Rechte entziehen. Wir die Freiheit haben auf unsere Meinung zu beharren, bis beide nicht mehr getragen werden können. Es ist mehr als traurig, dass ich mich als Bürger in einer Demokratie im Internet anonymisieren muss, um meine Meinung vertreten zu können. Kollegen sich bis unter die Radieschen mobben und Vorgesetzten das nicht auffällt. Mit welchem Gesetz wollen sie das verhindern? Der Rechtsstaat ist ein Ideal, welches von unveräußerlichen persönlichen und gesellschaftlichen Werten ausgeht. Müssen wir annehmen, dass diese verloren gehen?
Kann die Öffentlichkeit den Rechtsstaat in das Gegenteil umkehren? Den Gedanken möchte ich nicht weiter fortführen. Zeugt das von völliger Durchdringung. Die Frage ist ob diese Strömung zum Stillstand kommt. Welche Richtung die Entwicklung nimmt? Demokratie braucht Dynamik damit sie nicht erliegt. Und sie braucht Sprache, sonst verbreitet sie sich nicht, um Positionen einzunehmen. Gerät sie in Schieflage, dann ist die öffentliche Meinung, wie ein Brunnen in die sie fällt und eine Burg in die sie sich verschanzt. Atemstillstand und Kältestarre. Hat Demokratie eine Qualität? Wie soll der Bürger dies bewerten? Kann er dies überhaupt? So sehr wie er das kann, so sehr nimmt er Demokratie wahr. Darin ist auch die Schwierigkeit und Möglichkeit begründet die Wirklichkeit zu gestalten. Die permanente Anwesenheit von Gut und Böse, nicht voneinander zu unterscheiden. Alles voneinander durchdrungen, so dass nur Ausgegrenztes erkannt wird. Normalität der Masse.
[…] Die Unschuldsvermutung in der Rechtsprechung des EGMR, Barrot 2. Die Wahrnehmung schlägt die Fakten: Der Fall Tauss und seine mediale Inszenierung, Wettberg/Mönike… 3. Befugnisse und Verpflichtungen von Justizpressesprechern, Pruggmayer/Möller 4. Sieben Punkte […]