Die poli­ti­sche Debat­te um „Netz­neu­tra­li­tät“ erin­nert inzwi­schen oft­mals an ener­gie­po­li­ti­sche Dis­kus­sio­nen einer schein­bar fer­nen Ver­gan­gen­heit: In bei­den Fäl­len fehlt(e) es lei­der viel zu oft an Ein­sicht in die Dimen­si­on und Kom­ple­xi­tät des The­mas und daher auch an die Mög­lich­keit zur früh­zei­ti­gen Ein­sicht in die not­wen­di­gen poli­ti­schen Wei­chen­stel­lun­gen. In den 1980er Jah­re präg­te man dafür das Bon­mont: „Was geht mich Atom­kraft an? Bei mir kommt der Strom aus der Steck­do­se!“ Auf die Debat­te um „Netz­neu­tra­li­tät“ im Jahr 2011 über­tra­gen, könn­te es hei­ßen: „Wie­so sich mit Tele­kom­mu­ni­ka­ti­on beschäf­ti­gen? Bei mir kommt IP aus dem Port!“.

Auf­fäl­lig ist näm­lich: Vie­le der Dis­ku­tan­ten im poli­ti­schen Raum leh­nen – bewusst oder unbe­wusst – die Beschäf­ti­gung mit den tech­ni­schen Rea­li­tä­ten des Inter­net offen ab! Sie bezeich­nen sich selbst als „Netz­po­li­ti­ker“ oder „Netz­ak­ti­vis­ten“, mei­nen aber „nur“ das Inter­net und wol­len vom eigent­li­chen „Netz“ nichts wis­sen. Das Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­netz aber bil­det das Rück­rat des Inter­net – nur dadurch kann es über­haupt funktionieren.

Alle Bür­ger – nicht nur die Netz­ak­ti­vis­ten – soll­ten daher ein Inter­es­se dar­an haben, dass Ent­schei­dun­gen auch in die­ser Hin­sicht vom Sach­ver­stand gestützt wer­den. Denn, nur „wer weiß was rich­tig ist, wird auch das Rich­ti­ge tun“ (Sokra­tes). Grund­le­gen­de Ent­schei­dun­gen soll­ten also auch in der Netz­po­li­tik nicht aus dem Bauch her­aus, son­dern müs­sen nach ver­nünf­ti­gen Maß­stä­ben getrof­fen wer­den. Und Dis­kus­sio­nen über das Inter­net als ein voll­stän­dig vom Men­schen geschaf­fe­nes, tech­ni­sches Sys­tem, kön­nen sach­ge­recht eben nicht los­ge­löst von den tech­ni­schen Bedin­gun­gen sei­ner Exis­tenz und den Gren­zen sei­ner Leis­tungs­fä­hig­keit geführt wer­den. Es reicht eben nicht aus, einen iPad oder sein Wor­d­Press sicher bedie­nen zu kön­nen und von „vir­tu­el­len sozia­len Räu­men“ oder gar „digi­ta­len Kon­ti­nen­ten“ zu spre­chen, wenn man zugleich Geset­ze her­bei­re­den will, die das tech­no­lo­gi­sche Rück­rat des Inter­net in Deutsch­land beu­gen oder gar bre­chen könnten.

Daher kri­ti­sie­re ich seit län­ge­rem beson­ders ein Ver­ständ­nis, dass den Begriff der Netz­neu­tra­li­tät als „Wunsch­ma­schi­ne“ für eine ideo­lo­gi­sche Debat­te miss­braucht, als Pro­jek­ti­ons­flä­che für irgend­wie alles, was man poli­tisch für rich­tig befin­det: Von der nai­ven Idee getrie­ben „lea­ve the inter­net alo­ne“ oder „all bits are crea­ted equal“, bis hin zu dem schlich­ten Wunsch, die eige­nen, bis­lang nicht befrie­di­gend funk­tio­nie­ren­den Geschäfts­mo­del­le dadurch profitabel(er) zu bekom­men, dass die Kos­ten not­wen­di­ger Erwei­te­run­gen eige­ner Infra­struk­tur künf­tig auf die All­ge­mein­heit umge­legt wer­den sol­len, um (end­lich) mehr Gewin­ne pri­va­ti­sie­ren zu kön­nen. Wel­ches Motiv auch jeweils bestim­mend sein mag: Ich hal­te jedes Ein­zel­ne von die­ser Art für sehr gefähr­lich (vgl. Gedan­ken zur Netz­neu­tra­li­täts­de­bat­te: Zurück zur Sache, bit­te!)!

Mein Vor­trag „Es gibt (k)ein Internet(z)!“, der auf der re:publica 2011 nicht zuge­las­sen wur­de und den ich dafür am 5. Juni 2011 in Bonn auf dem polit­camp 2011 gehal­ten habe, ver­sucht daher an die grund­le­gen­den Funk­ti­ons­be­din­gun­gen des Inter­net zu erin­nern – soweit die­ses einem Juris­ten zu gelin­gen ver­mag. Denn es han­delt sich dabei nur schein­bar um ein homo­ge­nes Netz, dass etwa einer „gleich­ma­chen­den“ gesetz­li­chen Rege­lung zugäng­lich wäre. Nur weil das IP-Pro­to­koll ein­heit­li­che Diens­te über Netz­gren­zen hin­weg ermög­licht, kann es die tech­ni­schen Limi­ta­tio­nen des leis­tungs­schwächs­ten Net­zes, dass an einem Kom­mu­ni­ka­ti­ons­vor­gang betei­ligt ist, nicht über­win­den. Es gibt zwar ein „ein­heit­li­ches“ Inter­net, aber eben (noch) kei­ne ver­gleich­bar ein­heit­li­che tech­ni­sche Basis, die als Adres­sat für eine ver­ein­heit­li­chen­de gesetz­li­che Anord­nung zur Ver­fü­gung stün­de. Erst die Umstel­lung auf NGN/NGA und Open Access könn­te annä­hernd so etwas errei­chen. Aber gera­de gegen die dafür not­wen­di­gen dif­fe­ren­zie­ren­den Ver­ein­ba­run­gen wie z.B. Ver­kehrs­klas­sen, QoS oder SLAs wen­det sich min­des­tens zum Teil die Debat­te um „Netz­neu­tra­li­tät“. Gegen die­ses Para­dox wen­det sich mein Vor­trag: Nur wenn auch über die rea­len tech­ni­schen Zusam­men­hän­ge dis­ku­tiert, die­se erkannt und berück­sich­tigt wer­den, kann eine sach­ge­rech­te Debat­te über eine Netz­po­li­tik statt­fin­den, die zu geeig­ne­ten, dif­fe­ren­zier­ten Lösun­gen zu füh­ren ver­mag. Auch und gera­de beim The­ma „Netz­neu­tra­li­tät“.