Seit eini­gen Tagen wird ein Mus­ter­an­trag des Gesprächs­krei­ses Netz­po­li­tik der SPD zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung breit dis­ku­tiert. Ihm wird unter­stellt, dass er eine flä­chen­de­cken­de Über­wa­chung des Inter­net­ver­kehrs und des Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hal­tens der Bür­ger ein­füh­ren wol­le. Der Gespräch­kreis for­de­re angeb­lich, bis an die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt vor­ge­ge­be­nen Gren­zen oder sogar dar­über hin­aus zu gehen. Die­ses aber ist genau­so falsch, wie der Ein­druck, der im Rah­men die­ser Kri­tik erzeugt wird: Dass es bezo­gen auf die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung auf­grund des Urteils des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­rich­tes in Deutsch­land über­haupt kei­ner poli­ti­schen Dis­kus­si­on bedür­fe, „wie“ die Richt­li­nie der EU und ihre Umset­zung in Deutsch­land aus­se­hen sol­le und sich die Dis­kus­si­on inner­halb der SPD daher allein auf das „ob“ beschrän­ken könn­te. Die Tat­sa­che, dass das BMJ mit Vor­la­ge sei­nes Gesetz­ent­wur­fes im Juni 2011 die Dis­kus­si­on um die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung wie­der eröff­net hat, wür­de eine sol­che Vogel-Strauß-Tak­tik aber der für die kom­men­de poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung drin­gend not­wen­di­gen Ori­en­tie­rung der Par­tei scha­den, so dass drin­gen­der Bedarf zur Klar­stel­lung und Stand­ort­be­stim­mung besteht. (Update: Auch Alvar Freu­de hat inzwi­schen eine Replik ver­öf­fent­licht.)

Seit eini­gen Tagen wird ein Mus­ter­an­trag des Gesprächs­krei­ses Netz­po­li­tik der SPD zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung kon­tro­vers dis­ku­tiert. Ihm wird unter­stellt, dass er eine flä­chen­de­cken­de Über­wa­chung des Inter­net­ver­kehrs und des Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­hal­tens der Bür­ger ein­füh­ren wol­le. Der Gespräch­kreis for­dert angeb­lich, bis an die vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt vor­ge­ge­be­nen Gren­zen aus dem Urteil von März 2010 oder sogar dar­über hin­aus zu gehen. Ins­be­son­de­re Kol­le­ge Tho­mas Stad­ler zeich­net in den Kom­men­ta­ren auf sei­nem Blog und c´t online das ver­zerr­te Bild einer „Road­map zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung“. Rich­tig an sei­ner Kri­tik ist jedoch ledig­lich, dass es sich um einen poli­ti­sche Text im Dis­kus­si­ons­sta­di­um han­delt, um kei­nen Gesetz­ent­wurf oder gar juris­ti­schen Auf­satz, und er daher an vie­len Stel­len vage bleibt. Eben weil der Text zunächst nur eine gro­be Linie für kom­men­de Dis­kus­sio­nen bis zum Par­tei­tag der SPD im Dezem­ber 2011 beschrei­ben soll. Das lädt zu kri­ti­schen Bei­trä­gen ein – was einer poli­ti­schen Debat­te auch nie­mals scha­det. Die Gren­ze red­li­cher Kri­tik aber wird über­schrit­ten, wenn Lücken mit Unter­stel­lun­gen gefüllt wer­den, für die es weder im Text noch sonst Anhalts­punk­te gibt. Ver­mischt wird die­ses zudem mit unrea­lis­ti­schen Ein­schät­zun­gen über den Stand der poli­ti­schen Debat­te, die sich auch in ande­ren Bei­trä­gen fin­den. So aber dürf­te bei vie­len ein fal­scher Ein­druck erzeugt wer­den, der mei­nes Erach­tens nach brand­ge­fähr­lich ist: Es wird so getan, als ob es mit Bezug auf die kom­men­de Neu­auf­la­ge eines deut­schen Geset­zes zur Umset­zung der EU-Richt­li­nie zu Vor­rats­da­ten­spei­che­rung für die SPD bes­ser wäre, die Augen vor den unan­ge­neh­men Rea­li­tä­ten zu ver­schlie­ßen und bestimm­te Tat­sa­chen ein­fach nicht zur Kennt­nis zu neh­men, anstatt recht­zei­tig eine für die­se Par­tei längst über­fäl­li­ge poli­ti­sche Debat­te zu füh­ren. Die­se Vogel-Strauß-Tak­tik aber scha­det der für die kom­men­de poli­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung drin­gend not­wen­di­gen Ori­en­tie­rung, so dass drin­gen­der Bedarf zur Klar­stel­lung und Stand­ort­be­stim­mung besteht:

Die Autoren des Antra­ges aus dem netz­po­li­ti­schen Gesprächs­kreis der SPD – übri­gens alle kei­ne Berufs­po­li­ti­ker – leh­nen die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung schon aus grund­sätz­li­chen Über­le­gun­gen her­aus ab. Ich selbst kann für mich dabei in Anspruch neh­men, seit 1995 gegen jeden Ver­such einer aus­ufern­den Über­wa­chung oder Beschrän­kung der Frei­heit des Inter­net enga­giert und dabei im Ergeb­nis manch­mal auch erfolg­reich gewe­sen zu sein. Sei­en es die Plä­ne von Innen­mi­nis­ter Kan­ther zum Ver­bot teil­neh­mer­au­tono­mer Ver­schlüs­se­lung, das Zugangs­er­schwe­rungs­ge­setz oder eben auch das Gesetz zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung. Selbst um den Preis, damit in inner­par­tei­li­che Oppo­si­ti­on zu gera­ten, wer­de ich dar­an auch in Zukunft festhalten.

Die­ser Grund­über­zeu­gung wird – anders als es man­che Kri­ti­ker in die Tex­te hin­ein­le­sen wol­len – aber auch an kei­ner Stel­le des Antra­ges wider­spro­chen. Ganz im Gegen­teil, denn die gene­rel­le Ableh­nung der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung ist ja gera­de das Motiv, war­um eine Neu­ori­en­tie­rung der SPD in die­sen Fra­gen erreicht wer­den soll. Denn bis heu­te exis­tiert inner­halb der SPD kei­ne Beschluss­la­ge, die es Amts- und Man­dats­trä­gern poli­tisch unmög­lich machen wür­de, selbst unver­hält­nis­mä­ßi­gen und über­zo­ge­nen staat­li­chen Über­wa­chungs­ge­set­zen mit dem vor­geb­li­chen Argu­ment „mehr Sicher­heit“ zuzu­stim­men. Unter den Netz­po­li­ti­kern der SPD habe ich bis­lang dage­gen kei­nen ken­nen­ge­lernt, der Maß­nah­men unver­hält­nis­mä­ßi­ger und über­zo­ge­ner staat­li­cher Über­wa­chung, die Spei­che­rung von Daten auf Vor­rat oder ande­re restrik­ti­ve Ein­grif­fe befür­wor­ten wür­de. Die meis­ten sind – wie ich selbst auch – viel­mehr über­zeug­te Geg­ner von über­bor­den­der Über­wa­chung und auch der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung. Gemein­sam rufen wir daher auch zur Teil­nah­me an der Demons­tra­ti­on „Frei­heit statt Angst“ am 10. Sep­tem­ber 2011 in Ber­lin auf.

Trotz ande­rer per­sön­li­cher Über­zeu­gung in die­sen Fra­gen müs­sen wir uns aber – anders als viel­leicht in ande­ren Par­tei­en und natür­lich auch zivil­ge­sell­schaft­li­chen Grup­pen wie dem AK Vor­rat – im Zusam­men­hang eines Gesprächs­krei­ses beim SPD-Par­tei­vor­stand, auch der Tat­sa­che stel­len, dass es die eige­nen SPD-Minis­ter gewe­sen sind, die 2006 der EU-Richt­li­nie zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung zuge­stimmt haben. Zudem müs­sen wir mit Abge­ord­ne­ten in den SPD-Frak­tio­nen, wie auch Minis­tern in den Bun­des­län­dern, umge­hen, die sich unse­rer Befürch­tung nach auch für eine schlich­te Neu­auf­la­ge des eben erst vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt auf­ge­ho­be­nen Geset­zes begeis­tern könn­ten. Ledig­lich ein „Ver­bot der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung“ zu for­dern, reicht in die­sen Zusam­men­hän­gen weder für eine Bewusst­seins­än­de­rung bei den Ver­ant­wor­tungs­trä­gern aus, noch könn­te es mehr bewir­ken, als sich selbst ein gutes Gewis­sen zu verschaffen.

Die Mit­glie­der des Gesprächs­krei­ses haben sich daher viel­mehr vor­ge­nom­men, den Bun­des­par­tei­tag der SPD im Dezem­ber dazu zu nut­zen, eine erst­ma­li­ge Posi­ti­ons­be­stim­mung ihrer Par­tei in den wich­tigs­ten netz­po­li­ti­schen Fra­gen zu ver­su­chen – auch beim The­ma Vor­rats­da­ten­spei­che­rung. Selbst wenn es für sie auf­grund der pro­ble­ma­ti­schen His­to­rie kein „Sie­ger­the­ma“ sein kann, wol­len sie im Inter­es­se der Bür­ger­rech­te so von der bis­he­ri­gen Logik der Innen­po­li­ti­ker weg­kom­men, jedes Jahr immer mehr Über­wa­chung für das Inter­net zu for­dern. An den unse­rer Ein­schät­zung nach dabei real­po­li­tisch maxi­mal mehr­heits­fä­hi­gen Posi­tio­nen wer­ben wir intern für Vor­schlä­ge, die sich als Ergeb­nis an der Situa­ti­on vor 2006 ori­en­tie­ren sol­len – einer Zeit also, in der Access-Pro­vi­der IP-Adres­sen für 80 Tage gespei­chert haben, es einen gesetz­li­chen Zwang zur Erhe­bung, Spei­che­rung und Beaus­kunf­tung aller mög­li­chen Arten von Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Inter­net­da­ten aber noch nicht gege­ben hat. Der Mus­ter­an­trag, an dem die Dis­kus­si­on ent­lang­läuft, ist dabei der Ver­such einer ers­ten gro­ben Posi­ti­ons­be­stim­mung in die­se Rich­tung. Der Antrag for­dert die Euro­pa- und Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten auf, sich für eine grund­le­gen­de Über­ar­bei­tung der gel­ten­den EU-Richt­li­nie ein­zu­set­zen. Ohne die­se Ände­rung blie­ben alle EU-Län­der ver­pflich­tet, deut­lich weit­ge­hen­de Spei­cher­ver­pflich­tun­gen ein­zu­füh­ren – völ­lig egal, was die SPD dazu auf einem Par­tei­tag beschließt.

Daher for­mu­liert auch der Antrag an die Man­dats­trä­ger der SPD gerich­tet: „Jeg­li­che Art von Vor­rats­da­ten­spei­che­rung ist für die Sozi­al­de­mo­kra­tie ein erheb­li­cher Ein­griff in die Grund­rech­te der Bür­ge­rin­nen und Bür­ger und darf daher, wenn über­haupt, nur in engen Gren­zen erfol­gen.“ Aus­drück­lich abge­lehnt wird ins­be­son­de­re die Spei­che­rung von E‑Mail-Ver­bin­dungs­da­ten und Stand­ort­da­ten, gewollt ist ins­ge­samt eine Begren­zung auf weni­ge Daten­ar­ten und – wenn über­haupt etwas gespei­chert wird – nur für kur­ze Spei­cher­fris­ten. Aus­künf­te sol­len zudem nicht etwa für Urhe­ber­rechts­de­lik­te, son­dern nur für schwe­re Straf­ta­ten erteilt wer­den, und zwar aus­schließ­lich unter Rich­ter­vor­be­halt und mit weit­ge­hen­den Beweis­ver­wer­tungs­ver­bo­ten. Zivil­recht­li­che Aus­kunfts­an­sprü­che sol­len nicht mehr bestehen. Bezo­gen auf Mas­sen­ab­mah­nun­gen für Urhe­ber­rechts­in­ha­ber sei hier erwähnt, dass die­se auch heu­te – und zwar auch ohne irgend­ei­ne gesetz­li­che Vor­rats­da­ten­spei­che­rung – mög­lich sind. Ursa­che ist die sog. Enforce­ment-Richt­li­nie und ihre Umset­zung in §101 UrhG. Die Spei­che­rung der dyna­mi­schen IP-Adres­se ist zudem kei­ne unzu­läs­si­ge Vor­rats­da­ten­spei­che­rung (vgl. auch OLG Mün­chen vom 04.07.2011, Az. 6 W 496/11 und zu den File­sha­ring-Kon­stel­la­tio­nen z.B. die­sen Kom­men­tar). Der Mus­ter­an­trag will den­noch die­se Art zivil­recht­li­cher Ansprü­che wie auch sol­che bei Ord­nungs­wid­rig­kei­ten aus­schlie­ßen und die­ses im Rah­men einer ganz­heit­li­chen Debat­te um die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung regeln.

All dies geht deut­lich über die Anfor­de­run­gen hin­aus, die das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt dem Gesetz­ge­ber für eine Neu­re­ge­lung der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung auf­er­legt hat – wenn es auch nicht For­de­run­gen nach fun­da­men­ta­ler Ableh­nung jeg­li­cher Spei­che­rung von Daten auf Vor­rat zu ent­spre­chen ver­mag. Zudem wird die Fra­ge von Spei­che­rung und Beaus­kunf­tung von dyna­mi­schen IP-Adres­sen anders beur­teilt, als es viel­leicht einer Mehr­heit der Mei­nun­gen im Netz ent­spricht. Aber auch das auf­grund nach­voll­zieh­ba­rer Grün­de und mit der glei­chen Inten­ti­on, wie es auch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt getan hat (vgl. Ziff. 254 ff. der Ent­schei­dung des BVerfG vom 2. März 2010: „Weni­ger stren­ge ver­fas­sungs­recht­li­che Maß­ga­ben gel­ten für eine nur mit­tel­ba­re Ver­wen­dung der vor­sorg­lich gespei­cher­ten Daten in Form von behörd­li­chen Aus­kunfts­an­sprü­chen gegen­über den Diens­te­an­bie­tern hin­sicht­lich der Anschluss­in­ha­ber bestimm­ter IP-Adres­sen, die die­se unter Nut­zung der vor­ge­hal­te­nen Daten zu ermit­teln haben. Die Schaf­fung von sol­chen Aus­kunfts­an­sprü­chen ist unab­hän­gig von begren­zen­den Rechts­gü­ter- oder Straf­ta­ten­ka­ta­lo­gen ins­ge­samt wei­ter­ge­hend zuläs­sig als die Abfra­ge und Ver­wen­dung der Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­kehrs­da­ten selbst […]“)

Expli­zit – aber eben nicht abschlie­ßend auf­ge­zählt, son­dern ledig­lich bei­spiel­haft erwähnt – wer­den in dem Antrag etwa die Spei­che­rung von E‑Mail-Ver­bin­dungs­da­ten und Stand­ort­da­ten grund­sätz­lich abge­lehnt. Es soll also über­haupt nicht mehr auf Vor­rat gespei­chert wer­den dür­fen, wer wann mit wem E‑Mails geschrie­ben oder sich mit sei­nem Mobil­te­le­fon wo auf­ge­hal­ten hat. Und auch wenn hier nicht alle mög­li­chen Tech­ni­ken (GSM, GPRS, UMTS, GPS, …) ein­zeln auf­ge­führt sind, sieht der Antrag dabei kei­ne Aus­nah­me vor. Dabei wird dies­be­züg­lich nicht nur eine Über­ar­bei­tung der Richt­li­nie der EU ange­strebt, son­dern auch eine Abkehr von der bis­her immer noch herr­schen­den Pra­xis der Mobil­funk­un­ter­neh­men, Stand­ort­da­ten ihrer Kun­den lang­fris­tig zu spei­chern und zu beauskunften.

Der Mus­ter­an­trag rich­tet sich zum Teil dezi­diert an die EU-Par­la­men­ta­ri­er der SPD, mit dem Ziel sie für eine grund­le­gen­de Über­ar­bei­tung der bestehen­den EU-Richt­li­nie zu gewin­nen. Denn in Brüs­sel gibt es im Zuge der Eva­lu­ie­rung der Richt­li­nie aktu­ell eine Dis­kus­si­on ins­be­son­de­re etwa über die Fra­ge der Kos­ten­er­stat­tung, die Zugriffs­be­din­gun­gen auf Daten, kür­ze­re Spei­cher­fris­ten oder auch eine stär­ke­re Dif­fe­ren­zie­rung je nach Daten­typ. Was es in Brüs­sel aber nicht gibt, ist jedoch eine erkenn­ba­re Debat­te, die Richt­li­nie ins­ge­samt abzu­schaf­fen oder die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung etwa ganz zu ver­bie­ten. Das muß man bedau­ern, aber noch bedau­er­li­cher ist es, dass die Bun­des­re­gie­rung es offen­sicht­lich nicht ansatz­wei­se für not­wen­dig erach­tet, sich auf euro­päi­scher Ebe­ne in die Dis­kus­si­on um eine Revi­si­on der Richt­li­nie zur Vor­rats­da­ten­spei­che­rung über­haupt in die­se Rich­tung ein­zu­brin­gen, obwohl die Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin in der deut­schen Dis­kus­si­on ande­res behauptet.

In Bezug auf die EU-Richt­li­nie wird daher gefor­dert, die Höchst­spei­cher­dau­er auf sechs Mona­te zu begren­zen, also aus der Unter- eine Ober­gren­ze zu machen, und nicht mehr wie bis­lang, Spei­che­rung bis zu zwei Jah­re zuzu­lass­sen. Außer­dem soll es den Mit­glieds­staa­ten frei­ge­stellt sein, ob und wel­che Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­an­bie­ter sie über­haupt zur Spei­che­rung ver­pflich­ten (Kann-Rege­lung). Ers­te­res bringt sicher­lich gegen­über der bis­he­ri­gen deut­schen Rege­lung kei­ne Ver­än­de­rung, weil dort ohne­hin „nur“ eine sechs­mo­na­ti­ge Spei­che­rung vor­ge­se­hen war. Die­ses wür­de jedoch die Situa­ti­on in ande­ren euro­päi­schen Staa­ten ganz erheb­lich ver­bes­sern und auch das wäre dort ein erheb­li­cher Fort­schritt. Denn, das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat das deut­sche Gesetz zur Umset­zung der euro­päi­schen Richt­li­nie zwar für nich­tig erklärt. Jedoch nicht weil die Ver­fas­sungs­rich­ter die EU-Richt­li­nie oder die anlass­lo­se Spei­che­rung von Daten etwa für grund­sätz­lich unver­ein­bar mit dem Grund­ge­setz hal­ten wür­de. Nein, die­ses wur­de viel­mehr aus­drück­lich bestä­tigt. Ledig­lich an der kon­kre­ten Umset­zung der Richt­li­nie ins deut­sche Gesetz äußer­ten die Ver­fas­sungs­rich­ter weit­rei­chen­de Kri­tik, die der deut­sche Gesetz­ge­ber bei einer Neu­auf­la­ge des Geset­zes zu beach­ten hat. Letz­te­res wäre schließ­lich nötig, damit über­haupt in Deutsch­land von der Umset­zungs­pflicht einer Richt­li­nie abge­wi­chen wer­den kann. Ohne eine sol­che Öff­nungs­klau­sel, wonach die Umset­zung einer Richt­li­nie nicht ver­pflich­tend ist, wäre in Deutsch­land auch nicht der Aus­stieg aus dem Web­sper­ren-Gesetz rea­li­sier­bar gewesen.

Mit der Vor­la­ge ihres Gesetz­ent­wur­fes im Juni 2011 hat Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­rin Leu­theus­ser-Schnar­ren­ber­ger die Dis­kus­si­on um die Umset­zung der EU-Richt­li­nie in deut­sches Recht wie­der eröff­net. Obwohl sach­lich unzu­tref­fend, haben zudem die Anschlä­ge in Nor­we­gen die Debat­te in Deutsch­land wei­ter befeu­ert. Wie die FDP, schla­gen auch die GRÜNEN dabei ein Kon­zept des sog. „Quick-Free­ze“ vor, das vor­gibt, bür­ger­rechts­freund­li­cher als ande­re Arten der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung zu sein. Das ist in Wahr­heit aber nicht der Fall. Denn nach ihrem Vor­schlag sol­len nicht nur alle Arten von Daten für kur­ze Zeit auf Vor­rat gespei­chert wer­den, son­dern auf Zuruf der Behör­den per „Siche­rungs­an­ord­nung“ schock­ge­fros­tet wer­den. Eine sol­che Schock­fros­tung soll nur dann unzu­läs­sig sein, wenn schon bei ihrem Erlass vor­aus­seh­bar war, dass die recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für die Erhe­bung der Daten nicht ein­tre­ten wer­den. Über die­se Nega­tiv­klau­sel in § 100j Abs. 1 des StPO-Ent­wurfs ver­steckt, öff­net das „Quick-Free­ze“ den Ermitt­lungs­be­hör­den damit aber in der Pra­xis die Mög­lich­keit, stets alle Daten auf Ver­dacht sichern zu las­sen, da der Ver­lauf und Aus­gang des Ermitt­lungs­ver­fah­rens in aller Regel nie vor­aus­seh­bar ist. Beim „Quick-Free­ze“ wür­den die Ermitt­ler also gar nicht mehr zu einer Prü­fung über die Not­wen­dig­keit einer Siche­rung ange­hal­ten wer­den. Es steht daher zu befürch­ten, dass Poli­zei­dienst­stel­len bzw. Staats­an­walt­schaf­ten zukünf­tig – qua­si als Stan­dard, um etwa­ige Daten­ver­lus­te zu ver­mei­den – breit ange­leg­te Free­zing-Anfor­de­run­gen ver­sen­den, was nicht zu einer gerin­ge­ren, son­dern viel­mehr höhe­ren Belas­tung und zu weit­aus grö­ße­ren Grund­rechts­ein­grif­fen füh­ren wür­de. Als einen gefähr­li­chen „Wolf im Schafs­pelz“ leh­nen die meis­ten SPD-Netz­po­li­ti­ker daher das „Quick-Free­ze“ Kon­zept von FDP und GRÜNE ab, wie im übri­gen der AK-Vor­rat auch.

Der Vor­schlag des SPD-Gesprächs­krei­ses sieht, anders als bei­spiels­wei­se Tho­mas Stad­ler es behaup­tet, dage­gen gera­de nicht vor, dass alle Arten von Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons-Ver­bin­dungs­da­ten ohne Ein­schrän­kung gespei­chert wer­den soll­ten, son­dern das genaue Gegen­teil: Die Art der Daten und die Dau­er ihrer Spei­che­rung sol­len ins­ge­samt und alle­samt begrenzt und beson­ders sen­si­ble Daten­ar­ten sol­len mög­lichst ganz aus dem Kata­log der Richt­li­nie der EU, min­des­tens aber in Deutsch­land gestri­chen wer­den. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt hat hier einen Weg für eine dif­fe­ren­zier­te­re Betrach­tung der Daten hin­sicht­lich ihrer Ein­griffs­tie­fe und hin­sicht­lich des jewei­li­gen Pro­fil­bil­dungs­po­ten­ti­als aufgezeigt.

So rich­tig und wich­tig es ist, wenn sich Grup­pen wie der AK Vor­rat oder die Jusos in der SPD für ein mög­lichst voll­stän­di­ges Revi­re­ment der EU-Richt­li­nie ein­set­zen um damit mit Grup­pen wie der EDRI viel­leicht poli­tisch noch mehr in Brüs­sel zu errei­chen, muss sich ein Exper­ten­gre­mi­um wie der Gesprächs­kreis Netz­po­li­tik in der SPD auch der Ein­sicht stel­len: For­de­run­gen, die EU müß­te die Richt­li­nie kom­plett strei­chen oder die Vor­rats­da­ten­spei­che­rung gar euro­pa­weit ver­bie­ten, sind ein wün­schens­wer­tes, aber ange­sichts der poli­ti­schen Mehr­heits­ver­hält­nis­se in der EU kein rea­lis­ti­sches Ziel. Denn abseh­bar besteht in den meis­ten Län­dern Euro­pas über­haupt kei­ne Bereit­schaft, die dort bereits natio­nal seit vie­len Jah­ren exis­tie­ren­den Regeln der Über­wa­chung nur wegen der Eva­lu­ie­rung der Richt­li­nie abzu­schaf­fen. Es wird daher im Rah­men der Revi­si­on der Richt­li­nie bes­ten­falls gelin­gen, den Mit­glieds­staa­ten mehr Spiel­raum zu eröff­nen, ob sie über­haupt Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­an­bie­ter zur Spei­che­rung ver­pflich­ten wol­len, oder eben nicht. Erst mit einer sog. Kann-Rege­lung, die in dem Antrag gefor­dert wird, könn­te in Deutsch­land auf die Umset­zung der Richt­li­nie ganz oder wenigs­ten zum Teil ver­zich­tet wer­den. So lan­ge aber die Pflicht zu Umset­zung in deut­sches Recht einer – wie auch immer am Ende nur im Detail über­ar­bei­te­ten EU-Richt­li­nie – zu erwar­ten ist, muß sich die SPD auch Gedan­ken dar­über machen, wo sie ihre Gren­zen zie­hen will. Ins­be­son­de­re in den Län­dern, in denen sie die Innen­mi­nis­ter stellt, kann sie sich die­ser Fra­ge nicht ent­zie­hen, seit­dem das Bun­des­jus­tiz­mi­nis­te­ri­um sei­nen Vor­schlag vor­ge­legt hat.

Für die­sen Fall sieht der Antrag nicht nur Beschrän­kun­gen der Daten­ar­ten, son­dern auch sonst weit­rei­chen­de Begren­zun­gen vor, wie bei­spiels­wei­se ganz gene­rell sehr kur­ze (gedacht ist an nicht mehr als 7 Tage) Spei­che­run­gen von Ver­bin­dungs­da­ten, Aus­künf­te grund­sätz­lich immer nur beim Ver­dacht schwe­rer Straf­ta­ten (sog. Kata­log­ta­ten) und nur auf rich­ter­li­che Anord­nung, ein abso­lu­tes Ver­wer­tungs­ver­bot für die Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Geheim­nis­trä­gern wie Jour­na­lis­ten, Anwäl­ten, und eini­ges mehr. Die mög­li­chen grund­recht­li­chen Belas­tun­gen lie­gen damit unse­res Erach­tens noch weit unter den Vor­schlä­gen des Jus­tiz­mi­nis­te­ri­ums. Selbst jetzt spei­chern Tele­kom­mu­ni­ka­ti­ons­an­bie­ter die­se Daten teil­wei­se deut­lich län­ger. Laut Wiki des AK Vor­rats spei­chert und beaus­kunftet bei­spiels­wei­se T‑Mobile Ver­bin­dungs­da­ten 30 bzw. 80–180 Tage und Stand­ort­da­ten eben­falls 30 Tage. Bei ande­ren Mobil­funk­be­trei­bern sieht es momen­tan nicht anders aus (E‑Plus spei­chert laut AK Vor­rat momen­tan Stand­ord­da­ten 90 Tage, Voda­fone aus­ge­hen­de Ver­bin­dungs­da­ten sogar 180 Tage). Hier sei noch ein­mal auf den Mus­ter­an­trag ver­wie­sen: Er will kei­ne Spei­che­rung von Stand­ord­da­ten, sowie die Beschrän­kung der Spei­che­rung von Ver­bin­dungs­da­ten auf weni­ge (mög­lichst nur sie­ben) Tage.

Ledig­lich an einem Punkt gibt es eine ech­te Dif­fe­renz zu ande­ren Vor­schlä­gen aus der netz­po­li­ti­schen Sze­ne, zu dem wir aber auch klar ste­hen. Zur Spei­che­rung dyna­mi­scher IP-Adres­sen steht im Text folgendes:

„Die Beaus­kunf­tung von Anschluss­in­ha­bern anhand einer IP-Adres­se kann als mil­de­res und weni­ger ein­griffs­in­ten­si­ves Mit­tel zur Auf­klä­rung von Straf­ta­ten genutzt wer­den. Dabei soll­te ein Abruf jedoch nur inner­halb einer ange­mes­se­nen Frist erfol­gen können.“

Gemeint ist dabei eine Rück­kehr zur Spei­che­rung von dyna­mi­schen IPs für maxi­mal 80 Tage, in denen auch bei staats­an­walt­li­chen Ermitt­lun­gen in Fäl­len der Mas­sen­kri­mi­na­li­tät, also nicht nur für schwe­re Straf­ta­ten, unter dem Vor­be­halt rich­ter­li­cher Über­prü­fung Aus­kunft beim Zugangs­pro­vi­der ver­langt wer­den kön­nen soll. Selbst­ver­ständ­lich bezieht sich auch das allein auf die auch vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt für zuläs­sig erach­te­ten Fäl­le, in denen Ermitt­lern eine IP-Adres­se bereits aus einer ande­ren Quel­le bekannt ist und anschlie­ßend nur noch die Zuord­nung zu einem bestimm­ten Anschluss­in­ha­ber erfol­gen soll.

Sei­ne Begrün­dung fin­det die­se ange­streb­te Son­der­re­ge­lung für dyna­mi­sche IP-Adres­sen dar­in, dass ein funk­tio­na­ler Unter­schied zwi­schen sta­ti­schen IP-Adres­sen, die man wie z.B. auch nor­ma­le Tele­fon­num­mern zu den Bestands­da­ten zählt, und dyna­mi­schen IP-Adres­sen, die heu­te juris­tisch meist zu den Ver­bin­dungs­da­ten gerech­net wer­den, unse­rer Über­zeu­gung nach in Wirk­lich­keit nicht exis­tiert. Es wäre daher aber sowohl den Ermitt­lungs­be­hör­den, wie auch dem Opfern von Straf­ta­ten wie Inter­net­be­trug gegen­über schlicht nicht zu begrün­den, war­um man ohne Pro­ble­me einen nor­ma­len betrü­ge­ri­schen Anruf zu einem Teil­neh­mer­an­schluss zurück­ver­fol­gen kön­nen soll­te, einen VoIP-Call aber nicht, selbst wenn die kor­rek­te IP beim Opfer bekannt ist. Klar: Natür­lich wird man auch dann IP-Adres­sen ver­schlei­ern und auch wei­ter­hin voll­stän­dig anonym im Netz unter­wegs sein kön­nen, wenn einem das wich­tig ist. Aber es ist etwas ande­res, als ob ich den jähr­lich tau­sen­den Opfern von Betrü­ge­rei­en erklä­re: „Pech, man könn­te Dir viel­leicht pro­blem­los hel­fen und den Täter ermit­teln, aber unter Mord und Tot­schlag geht da im Inter­net gar nix“. Dem steht auch kei­ne ande­re Abwä­gung ent­ge­gen, denn eine Rück­kehr zur Spei­che­rung von dyna­mi­schen IPs für z.B. 80 Tage, wie vor 2006, und unter dem Vor­be­halt rich­ter­li­cher Über­prü­fung zur Ermitt­lung des Anschluß­in­ha­bers, ist für die­se Art von Fäl­len auch vom Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt aus­drück­lich als ver­fas­sungs­ge­mäß erklärt worden.

Unter­stel­lun­gen, damit soll­ten Anony­mi­sie­rung­diens­te für unzu­läs­sig erklärt wer­den, ent­beh­ren jeder Grund­la­ge. Schließ­lich auch der Vor­wurf, die SPD-Netz­po­li­ti­ker wür­de mit die­sem Vor­schlag „ohne Not“ einen „Damm­bruch“ in der poli­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung ver­ur­sa­chen.  Wer so argu­men­tiert, ver­sucht ledig­lich eine Tat­sa­che zu igno­rie­ren, der sich die SPD aber dort, wo sie in Regie­rungs­ver­ant­wor­tung ist, nicht ent­zie­hen kann: Der Damm ist bereits 2007, mit Inkraft­tre­ten der EU-Richt­li­nie, gebro­chen und konn­te bis heu­te nicht wie­der geschlos­sen wer­den (vgl. dazu auch die Dis­kus­si­on hier) – die Trau­er­an­zei­ge von damals bringt es tref­fend zum Aus­druck. So lan­ge die­ser Damm aber nicht geschlos­sen ist, geht es nicht mehr um das „ob“, son­dern lei­der nur noch um das „wie“ der Vor­rats­da­ten­spei­che­rung und eine Dis­kus­si­on ent­lang ent­spre­chen­der Ver­tei­di­gungs­li­ni­en. Das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt jeden­falls hat den Damm, der in Brüs­sel geöff­net wur­de, nicht geschlos­sen und auch im Rah­men der lau­fen­den Eva­lua­ti­on ist die­ses nicht zu erwar­ten. Da die EU-Richt­li­nie aber zwangs­wei­se in deut­sches Recht umzu­set­zen ist, wird man nicht umhin kom­men, sich die­sem Pro­blem mit poli­ti­scher Red­lich­keit zu stel­len, um zum Schutz der Bür­ger­rech­te wenigs­tens eine mög­lichst weit­ge­hen­de Ein­gren­zung zu ver­su­chen. Und nichts ande­res will ich gemein­sam mit ande­ren Mit­glie­dern des Gesprächs­krei­ses Netz­po­li­tik der SPD und will die­ser Antrag bewirken.